„Susanne, du denkst doch normalerweise logisch – hast du dir die Dinger mal angesehen? Die haben keinen Motor. Wenn da keine Luft drin ist, stürzen sie ab.“
„Klar, ist ja auch das Gegenteil der Idee.“ Ohne Auftrieb geht es nun mal nicht, genauso wie man ohne Segel nicht segeln kann. Ich wundere mich noch ein bisschen, während Jan bereits weiterspricht: „Ich fliege wirklich gern, gerade in den großen Flugzeugen. Da merkt man gar nicht, dass man fliegt…“ Mmh, ist klar. „… tolle Technik, sicher, alles hundert Mal getestet …“ Ich könnte jetzt den amerikanischen Flugzeughersteller erwähnen und dessen Groundings seit 2019 – dann sieht die Sache mit der ‚sicheren Technik‘ schon anders aus. Aber mein Kollege hat sich in Fahrt geredet: „Überhaupt: Ich brauche das Gefühl von Kontrolle. Ein Flugzeug kann man steuern. Bei einem Ballon ist man ja völlig dem Wind ausgeliefert…“
Da habe ich inzwischen ein paar Dinge gelernt: Ja, der Wind spielt eine Rolle. Manchmal ist er zu stark, um überhaupt zu starten, oder er macht die Landung ungemütlich ‚schnell‘ (… in dem Fall: tief in die Knie gehen, gut festhalten, Rücken an Rücken – um sich gegenseitig abzustützen). Zu wenig Wind ist auch schlecht – dann kommt man nicht voran und steht möglicherweise sehr lange über bewohntem Gebiet (oder Hochspannungsmasten …). Je nach Höhe ändert der Wind seine Richtung und Geschwindigkeit – und das lässt sich nutzen, um zu steuern. Klar ist aber: Normalerweise landet man nicht dort, wo man gestartet ist, und wo genau man landet, entscheidet sich unterwegs – anhand dessen, was man so vorfindet.
Jan ist immer noch in seiner Welt. „Wenn ein Ballon gelandet ist, irgendwo … Er kann dort ja nicht weg. Was passiert dann eigentlich?“
Alleine kann ein Ballon gar nichts tun, genauso wenig wie ein:e Ballonpilot:in – es braucht immer ein Team. Ballonfahren ist ein Teamsport. Es gibt ein Team am Boden, das den Ballon verfolgt und nach der Landung abholt. Genauso gibt es ein Team in der Luft, das beim Aufrüsten des Ballons vor dem Start hilft, den Korb während der Fahrt stabilisiert, Hindernisse für eine Landung erkennt und danach alles wieder einpackt. Und es gibt die Öffentlichkeit, die den Ballon sieht und auf ihn reagiert – in der Bandbreite von fröhlichem Winken bis Anrufen bei der Polizei (ja, man darf auf der Wiese landen) oder der Feuerwehr (nein, der Ballon stürzt nicht ab – er fährt nur vor der Landung in der Regel sehr tief …).
„Warum musst du eigentlich unbedingt selbst Ballon fahren lernen? Reicht mitfahren nicht auch?“
Berechtigte Frage. Natürlich erlebt man einen wesentlichen Teil der Faszination auch beim Mitfahren: dieses Schweben, bei dem man das ‚in der Luft sein‘ fühlt; die Stille; den Alltag, der ganz klein wird. Die Verantwortung dafür, dass alles funktioniert, liegt beim Piloten/der Pilotin. Nur bin ich beruflich eben keine ‚Mitfahrerin‘ – ich leite, und zwar oft technische oder organisatorische Transformationsprojekte. Egal, worum es dabei im Detail geht, ein paar Dinge sind in diesen Projekten immer klar: Wir werden nicht dort landen, wo wir gestartet sind; Teile des Prozesses sind planbar, andere sind Reaktionen auf Dinge, die ‚um uns herum‘ geschehen; es braucht ein Team; es birgt Risiken und es kostet Geld – und letztlich beruht die Fortbewegung auf etwas, das genauso wenig greifbar ist wie heiße Luft: einer Idee, die alles trägt. So viele Parallelen.
Jan schüttelt beim Zuhören den Kopf. Irgendwann sagt er schließlich: „Jeder Mensch ist ein bisschen anders. Und dann gibt es die, die ganz anders sind.“
Damit meint er vermutlich mich, und ich bin nicht sicher, ob es ein Kompliment sein soll. Letztlich ist das egal. Ich will verstehen, wie Ballon fahren funktioniert, denn ‚mit heißer Luft etwas bewegen‘ ist durchaus eine Zusammenfassung für das Management von Veränderungen. Was ich beim Ballon fahren lerne, wird meine Art zu arbeiten verändern – und in diesem Blog schreibe ich es auf.
Bildnachweis: Susanne Patig (Warsteiner Internationale Montgolfiade 2023)